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Bürgergeld kommt. Mit Abstrichen

Union und Ampelkoalition finden bei den Streitfragen Kompromisse in letzter Minute

Frau im Supermarkt betrachtet eine Nudelpackung
Grundsicherungsbeziehende haben ab Januar etwas mehr Geld. Foto: Drazen / Adobe Stock

Nach zähem politischem Ringen haben die Ampelkoalition und die Union den Weg für das Bürgergeld freigemacht. Kurz vor knapp fanden beide Seiten in den zentralen Streitfragen Kompromisse. Ab 1. Januar 2023 soll Hartz IV Geschichte sein. Millionen Bedürftige können dann mit höheren staatlichen Leistungen rechnen. Der SoVD erkennt die mit der Einigung erzielten Verbesserungen an, vermisst jedoch ein Herzstück des ursprünglichen Entwurfs der Sozialreform.

In den vergangenen Wochen hatte die Union sich gegen entscheidende Punkte des Vorhabens gestellt. Zwar fand der Gesetzentwurf die Mehrheit im Bundestag. Doch Länder unter Regierungsbeteiligung von CDU und CSU blockierten Mitte November die Sozialreform im Bundesrat. Deshalb wurde der Vermittlungsausschuss angerufen. Das Gremium aus Vertreter*innen von Bundestag und Bundesrat zurrte den in letzter Minute erzielten Einigungsvorschlag fest.Parlament und Länderkammer besiegelten am 25. November das Bürgergeldgesetz.

Höhere Leistungen für Millionen Bedürftige

Ab dem kommenden Jahr steigen die Bezüge von alleinstehenden Leistungsbezieher*innen um 53 Euro auf 502 Euro. Auch in Bedarfsgemeinschaften erhöhen sich die Leistungen. „Es ist wichtig, dass eine Einigung erzielt wurde“, befürwortet SoVD-Vorsitzende Michaela Engelmeier die Verabschiedung des Bürgergeldgesetzes. „Damit erfolgt ein Ausgleich der Kostensteigerungen, die Armutsbetroffene seit Monaten besonders bitter spüren.“

Der SoVD bewertet es als positiv, dass zentrale Bereiche der Reform trotz massiver Angriffe erhalten werden konnten. So hatten CDU und CSU gefordert, dass Menschen weniger eigenes Vermögen behalten dürfen, wenn sie die staatliche Leistung erhalten. Die Ampel hatte ein Schonvermögen von 60.000 Euro geplant. Nun ist ein Betrag von 40.000 Euro für die erste Person einer Bedarfsgemeinschaft und 15.000 Euro für jede weitere festgelegt worden. Es gilt eine Karenzzeit von einem Jahr; die Koalition  hatte zwei Jahre gefordert, in der Leistungsbezieher*innen das Ersparte nicht aufbrauchen müssen.

Schonvermögen spielt in der Praxis nur kleine Rolle

„Die Einführung von Karenzzeiten – wenn auch verändert – ist ein großer Erfolg der Ampelkoalition,“ stellt Engelmeier fest. Dies sei ein wichtiges Zeichen für all diejenigen, die neu in den Grundsicherungsbezug rutschen, so die SoVD-Vorstandsvorsitzende. Wenn Eltern kurzfristig ihren Job verlören und das Geld nicht mehr für den Familienunterhalt ausreiche, werde jetzt garantiert: „Ihr habt Zeit, euch um einen neuen Job zu bemühen, und müsst nicht parallel für eure Familien ein neues Zuhause suchen oder euer Erspartes aufbrauchen.“

Dass die Höhe des Schonvermögens reduziert wurde, ist aus Sicht des SoVD ein eher verschmerzbarer Abstrich. „Die sehr hohen Freibeträge spielen ohnehin im Alltag unserer Mitglieder keine große Rolle. Wir haben in den Beratungsstellen in den seltensten Fällen Menschen sitzen, die so viel Geld auf der hohen Kante haben.“

Vertrauenszeit wäre ein wichtiges Signal gewesen

Ein anderes Zugeständnis an die Union ist den Augen des SoVD hingegen schmerzhafter: Künftig soll es mehr Sanktionen für Grundsicherungsbeziehende geben als ursprünglich geplant. Das hatte die Union mit Vehemenz verlangt.

Die Ampel hatte demgegenüber eine „Vertrauenszeit“ von sechs Monaten vorgesehen, in der Sanktionen nur noch unter bestimmten Bedingungen möglich sein sollten. Diese ist nun komplett gestrichen.

Stattdessen sollen von Anfang an Leistungsminderungen greifen, wenn Arbeitslose sich zum Beispiel nicht für einen Job bewerben, obwohl dies mit dem Jobcenter vereinbart war. „Wir haben beim SoVD ein anderes Menschenbild“, macht Engelmeier deutlich. „Wir sehen, dass fast jede*r vierte Erwerbsfähige in der Grundsicherung einer Beschäftigung nachgeht und der Lohn trotzdem nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt zu sichern. Die sechsmonatige Vertrauenszeit, in der nur Meldesäumnisse hätten sanktioniert werden können, wäre ein deutliches Signal gewesen. Weil sie die Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Leistungsberechtigten und Mitarbeitenden in den Jobcentern stärken würde“ , führt die Vorstandsvorsitzende weiter aus.

„Als SoVD sind wir deshalb enttäuscht, dass die Vertrauenszeit dem Verhandlungskalkül zum Opfer gefallen ist. Aber das entlarvt einen Teil der Verhandelnden und deren spalterischer Spielchen.“ In einer so existenziellen Krise die Armen gegen die Ärmsten auszuspielen, sei moralisch absolut verwerflich. Und es sei überdies in der Sache wenig nachvollziehbar, da nur bis zu drei Prozent der Leistungsbeziehenden überhaupt sanktioniert würden.

Gleichwohl übersieht der SoVD nicht, dass das neue Stufenmodell bei den Sanktionen eine Verbesserung zur Hartz-IV-Gesetzgebung darstellt.

SoVD mahnt Rückkehr zur sachbezogenen Diskussion

Wesentliche Teile der Reform werden im Übrigen erst zum 1. Juli in Kraft treten: Ab dann sollen die Jobcenter mit jeder und jedem Arbeitslosen einen Kooperationsplan aufstellen, in dem ein Weg zurück zu regulärer Arbeit gezeichnet wird. Bestand hat somit das Anliegen der Ampelfraktionen, künftig den Wert vor allem auf Qualifizierung und dauerhafte Beschäftigung zu legen, statt Leistungsbezieher*innen in kurzfristige Hilfsjobs zu vermitteln. „Dafür haben wir uns eingesetzt, das heißen wir gut!“, erklärt Engelmeier. Der SoVD mahnt, zur realitätsbezogenen politischen Diskussion zurückzufinden und spaltende Sprachgewalt auf dem Rücken Betroffener zu unterlassen.