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Hände von zwei Personen, die mit Kulis auf ein Schriftstück zeigen

Erfolge unserer Sozialrechtsberatung

Die Juristinnen und Juristen der Sozialrechtsberatungsstellen des Landesverbandes Baden-Württemberg konnten schon vielen Mitgliedern helfen, ihre Rechte bei Behörden, Ämtern und vor Gericht durchzusetzen. Hier finden Sie einige Erfolgsgeschichten.

Erfolgreiche Klage des SoVD vor dem SozialgerichtKostenübernahme für ein Hilfsmittel für Blinde

Die Kosten für Hilfsmittel durch die eigene Krankenkasse werden nicht immer übernommen. Das beinahe 90-jährige SoVD-Mitglied Herr Y bekam trotz fundierter Gründe eine Absage sowohl beim Antrags- als auch beim Vorverfahren. Es blieb dann nur der Weg der Klage.

Herr Y war 88 Jahre alt, als er eine spezielle Kamera für seine Brille bei seiner Krankenkasse beantragte. Diese Kamera, die auf das Brillengestell montiert wird, hilft Blinden und hochgradig Sehbehinderten zum Beispiel beim Einkaufen, auf der Straße oder bei der Medikamenteneinnahme, indem sie Preisschilder, Zutatenlisten, Fahrpläne, also Texte vorliest, aber auch Gesichter erkennt. Dies ist enorm wichtig für die soziale Teilhabe und den Behinderungsausgleich. Blinde und hochgradig Sehbehinderte gewinnen dadurch an Selbstständigkeit. Diese Kamera ist bereits im Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten.

Herr Y hatte sich bereits einem Erprobungstest unterzogen und diesen positiv abgeschlossen. Bildschirmlesegeräte sowie Vorlesegeräte waren leider nicht ausreichend. Was sprach nun dagegen, dass das Antragsverfahren bei der Krankenkasse schnell abgewickelt wird, damit Herr Y in seinem fortgeschrittenen Alter davon profitiert? 

Erste Absage der Krankenkasse

Die erste Absage bekam Herr Y von der Krankenkasse mit der Begründung, seine Frau würde die Einkäufe für ihn erledigen und ihn außerhalb der Wohnung ständig begleiten, somit brauche er die Kamera nicht. Dagegen legte Herr Y selbst Widerspruch ein mit der Begründung, seine Frau sei 86 Jahre alt, könne ihn nicht jeden Tag auf allen Wegen außerhalb der eigenen Wohnung begleiten und er sei dadurch gezwungen, selbst Einkäufe zu erledigen.

Zweite Absage der Krankenkasse

Dann kam die zweite Absage: Mit einer Leselupe sei die notwendige Versorgung sichergestellt. Das klingt für einen Menschen, der nahezu erblindet ist, wie eine Ohrfeige. Herr Y hielt an seiner Motivation, oder besser gesagt, seiner Not fest, bat den SoVD um Unterstützung und erhob Klage. Letztendlich wolle er noch ein paar Jahre gut leben und seine kranke Frau soweit möglich entlasten. Er nutze zwar kein Handy, kann dieses auch nicht bedienen, aber die Funktionen dieser besonderen Kamera hatte er bereits erfolgreich getestet.

Dritte Absage der Krankenkasse

Während des Klageverfahrens kam die Stellungnahme der Krankenkasse mit einer dritten, negativen Begründung: Herr Y sei zwar geistig sehr rege aber körperlich kaum belastbar, und würde dieses Hilfsmittel nicht gebrauchen. Darüber hinaus gäbe es in der Zwischenzeit eine App für Smartphones, die ähnliche Leistungen erbringen würde. Schade nur, stellte SoVD-Sozialrechtsberater Dario Becci fest, dass Herr Y kein Handy bedienen kann, man beide Hände sowie eine überdurchschnittliche Fingerfertigkeit für die Bedienung der App benötigt und der Akku in sehr kurzer Zeit leer wird. All das klingt nicht wirklich wie eine Alternative, da unter anderem die Hände für den Rollator gebraucht werden.

Sozialgericht folgt Argumentation des SoVD

Damit konnte Herr Becci nachweisen, dass diese ärztliche Leistung die drei Kriterien erfüllt und diese somit nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot der gesetzlichen Krankenversicherung als wirtschaftlich gilt: Die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten (§ 12 Sozialgesetzbuch V). Bei jedem Verfahren kam von der Krankenkasse eine unterschiedliche Begründung, warum die Kosten für das oben genannte Hilfsmittel nicht übernommen werden konnten.
Beim Erörterungstermin beim zuständigen Sozialgericht konnte sich die Richterin vergewissern, dass Herr Y nicht nur geistig sehr rege, sondern für sein Alter noch ziemlich fit ist, und dass diese Kamera zurzeit das einzige geeignete Hilfsmittel auf dem Markt ist.
Damit steht sie ihm zu. Der Beklagtenvertreter gab vor Ort die Anerkenntnis ab, den negativen Bescheid zu erheben und die Kosten für die Brillenkamera inklusive Schulung zu übernehmen. Es sind in der Zwischenzeit etwa anderthalb Jahre seit der Antragstellung vergangen.
Herr Y verließ den Gerichtssaal mit einem Satz an den anwesenden Vertreter der Krankenkasse, der nett aber entschieden formuliert wurde:

Warten Sie jetzt bitte nicht noch lange, um mir den Bescheid zu senden! Ich werde dieses Jahr 90 und möchte ihn noch erleben!