Bereits am 9. April haben Union und SPD auf 144 Seiten ihre gemeinsamen Pläne für die nächsten vier Jahre vorgelegt. Es ist ein Koalitionsvertrag unter Finanzierungsvorbehalt – vieles darin bleibt unkonkret, und nicht alle Ansätze hält der SoVD für richtig. Dennoch erkennt er an, dass in einer Zeit multidimensionaler Krisen eine schnelle Einigung erzielt werden konnte. Eine erste sozialpolitische Erstbewertung der SoVD-Expert*innen griffen zahlreiche Medien auf.
Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen steht Deutschland kurz vor einem politischen Neustart mit Friedrich Merz als Bundeskanzler. Im Wahlkampf hatte sich der CDU-Politiker für eine restriktivere Migrationspolitik, die Abschaffung des Bürgergeldes und die Unterstützung der Ukraine ausgesprochen. Unter dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ kündigt die neue Regierung nun einen Politikwechsel an – etliches davon betrifft auch die Sozialpolitik.
Enorme Herausforderungen warten auf die Koalitionär*innen, sowohl innen- als auch außenpolitisch. Große Eile war und ist dabei aufgrund der weltweit angespannten Lage geboten– verursacht durch Russlands Krieg gegen die Ukraine, Trumps Zollpolitik, die drohende wirtschaftliche Abwärtsspirale und die Gefährdung der Demokratie. Diese Gemengelage machte zunächst ein Ziel vordringlich: dass Deutschland handlungsfähig ist und bleibt.
Angesichts dessen konnten die Regierungsparteien der kommenden Legislatur binnen weniger Wochen nach der vorgezogenen Bundestagswahl bereits einige gute Kompromisse finden – so bei der Rente, in der Familienpolitik oder auch beim Wohnen.
Doch auch „Leerstellen“ sind im Koalitionsvertrag auszumachen. „Beim wichtigen Thema Pflege oder der gesetzlichen Krankenversicherung ist spürbar, dass auf einigen Feldern die Entscheidungen vertagt wurden“, stellt die SoVD-Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier dazu fest. Sie kritisiert, dass an etlichen Stellen zudem unklar bleibt, wie milliardenschwere Projekte gegenzufinanzieren sind oder ob überhaupt Geld da sein wird, um sie anzugehen. „Hier hätten wir uns mehr Mut gewünscht“, so Engelmeier nach einer ersten Bewertung des SoVD.
Guter Kompromiss zur Rente – keine Lösung für die GKV
Zu den als positiv zu bewertenden sozialpolitischen Kompromissen gehört, dass CDU, CSU und SPD die Rente für die Zukunft aufstellen wollen – und dies über die nächste Wahlperiode hinaus.
Das heutige Rentenniveau von 48 Prozent will man bis 2031 gesetzlich festschreiben. Die Kosten sollen Gelder aus dem Bundeshaushalt decken. Die Mütterrente gilt künftig mit drei Rentenpunkten für alle – unabhängig vom Geburtsjahr der Kinder. Auch das soll über Steuern finanziert werden.
Keine konkreten Pläne zur GKV-Beitragsstabilisierung
Als unzureichend bewertet der SoVD hingegen die Lösungsansätze in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Angesichts zuletzt enorm gestiegener Beitragssätze und besorgniserregender Prognosen beklagt der Verband, dass die bislang bekannten Pläne zu einer Beitragssatzstabilisierung über eine Absichtserklärung nicht hinausgehen. So soll eine Kommission zwar bis 2027 entsprechende Maßnahmen vorschlagen; zu konkreten, kurzfristigen Schritten fällt jedoch kein Wort.
Hingegen ist es positiv einzuordnen, dass der Bund künftig den bisher für die GKV vorgesehenen Anteil für den Transformationsfonds für Krankenhäuser übernehmen wird.
Geplant ist, das Vorhaben aus dem Sondervermögen Infrastruktur zu finanzieren. Im Vorfeld hatte der SoVD mehrfach scharf kritisiert, dass ursprünglich geplant war, Beitragsgelder in Höhe von bis zu 25 Milliarden Euro zur hälftigen Finanzierung des Transformationsfonds zu verwenden. Dies wäre in den Augen des SoVD einer Zweckentfremdung gleichgekommen. Dass es nun anders geplant ist, wertet der Verband als großen Erfolg.
Enttäuschung über eher dürftige Pläne zur Pflege
Eine große Ernüchterung stellen demgegenüber die Pläne zur Pflege dar. Zwar gibt es die Ankündigung einer großen Reform, jedoch keinerlei inhaltliche Zusage. Stattdessen wurden Prüfaufträge an eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe formuliert, die die Grundlage der Reform erarbeiten soll. Die Ausführungen fallen insgesamt sehr dürftig aus und werden der dramatischen Situation in der Pflege nicht gerecht, so die Einschätzung des SoVD.
Einnahmenbasis stärken zur sozialen Sicherung aller
Der Verband begrüßt hingegen, dass im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, die soziale Sicherung zu reformieren und zugänglicher zu gestalten. Wie wichtig gerade in Zeiten großer Unsicherheit ein verlässlicher Sozialstaat ist, betont der SoVD immer wieder. „Das Vorhaben ist allerdings nur so lange gut, wie das Versprechen, das soziale Schutzniveau zu bewahren, auch wirklich konsequent eingehalten wird“, stellt die SoVD-Vorstandsvorsitzende dazu fest.
Lichtblicke, aber auch einige Schattenseiten zeigen sich besonders hier im Hinblick auf eine solide Finanzierung. So könnte die geplante Reform der Schuldenbremse zwar dringend benötigte Zukunftsinvestitionen in soziale Infrastruktur wie Schulen und Krankenhäuser ermöglichen – für einen Staatshaushalt, der dauerhaft solide und sozial ausgewogen ist, sei aber gleichzeitig eine starke Einnahmenbasis notwendig. „Wir finden es deshalb gut, dass Bestverdienende weiterhin den Solidaritätszuschlag bezahlen müssen“, sagt Michaela Engelmeier. Hingegen gingen für die Haushaltsstabilität wichtige Steuereinnahmen durch die Absenkung der Körperschaftssteuer verloren, kritisiert die SoVD-Vorstandsvorsitzende.
SoVD begrüßt Investitionen im Bereich Wohnen
Im Bereich Wohnen geht aus SoVD-Betrachtung vieles in die richtige Richtung: Endlich soll es Maßnahmen gegen rechtswidrige Mietpreisüberhöhungen geben! Außerdem sollen die Mietpreisbremse um vier Jahre verlängert und darüber hinaus Kurzzeitvermietung sowie Indexklauseln besser reguliert werden.
Begrüßenswert sind aus SoVD-Sicht auch die geplanten Investitionen in den Bau von Sozialwohnungen, denn im Vergleich zu 2005 hat sich deren Bestand mehr als halbiert. Noch zielführender wäre allerdings die Bereitstellung zusätzlicher solider Fördermittel.
Viele gute Ansätze in der Familienpolitik
In der Familienpolitik entspricht die Weiterentwicklung des Elterngeldes den Forderungen des Verbandes, denn diese überfällige Maßnahme trägt langfristig zu einer gerechteren Verteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit bei. Hier sind eine Dynamisierung und jährliche Anpassung notwendig, damit das Elterngeld den steigenden Lebenshaltungskosten nicht hinterherhinkt – es wurde zuvor 18 Jahre nicht angepasst.
Als sehr gut bewertet der SoVD die vorgesehene Weiterentwicklung der Sprach-Kitas und Startchancen-Kitas. Sprachliche Bildung ist von hoher Bedeutung in der Kindertagesbetreuung, vorwiegend für Kitas.
Der SoVD setzt sich zudem für eine Gesamtstrategie zur Fachkräftegewinnung in Kita und Ganztagsbetreuung ein, bei der die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland eine Rolle spielt. Dass das kostenlose Mittagessen ins Bildungs- und Teilhabepaket aufgenommen worden ist, gehört außerdem zu den als positiv einzustufenden Vorhaben in der Familienpolitik.
Behindertenpolitik mehr als Querschnittsthema sehen
Leider wird Politik für Menschen mit Behinderungen im Koalitionsvertrag eher oberflächlich behandelt. So soll Barrierefreiheit zwar explizit auch im privaten Bereich vorankommen. Und auch eine Reform der Werkstätten für behinderte Menschen ist geplant – die finanzielle Verbesserung für die Betroffenen und die Verzahnung der Werkstätten mit dem allgemeinen Arbeitsmarkt sind jedoch ebenfalls mitzudenken, um Inklusion tatsächlich zu erreichen.
Michaela Engelmeier stellt zusammenfassend fest: „Deutschland wartet darauf, dass die vielen Probleme aus den letzten Jahrzehnten nun nachhaltig angepackt werden!“ Gerade den sozialen Bereich dürfe die Regierung dabei nicht aus den Augen verlieren, um der Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken.
Der SoVD wird die Entscheidungen der neuen Koalition kritisch begleiten und steht den politischen Akteur*innen mit seiner umfassenden Expertise in sozialen Fragen als Ansprechpartner zur Verfügung.