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Rentenversicherung-Mindestrücklagengesetz

Rente

Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke: Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung

1 Zusammenfassung des Gesetzentwurfs

Der Entwurf der Bundestagsfraktion Die Linke für ein Gesetz zur Sicherung der Zahlungsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Mindestrücklagengesetz) sieht eine Anhebung der sogenannten Mindestrücklage von aktuell 0,2 auf 0,4 Monatsausgaben vor. Dafür ist eine Änderung in § 158 SGB VI erforderlich. Zur Gegenfinanzierung sieht der Gesetzentwurf eine Anhebung des Beitragssatzes vor, die aufgrund weiterer, noch unbekannter gesetzlicher Änderungen, im Gesetzentwurf nicht genau beziffert werden kann.

2 Gesamtbewertung

Ziel des Gesetzentwurfes ist es, unterjährige Schwankungen der Einnahmen und Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung mit eigenen Mitteln ausgleichen zu können. Dies ist von besonderer Bedeutung, da die gesetzliche Rente als Umlagesystem funktioniert. Das heißt, die aktuellen Renten werden aus den aktuellen Beitragseinnahmen finanziert. Um Zeiten mit geringeren Beitragseinnahmen ohne die Inanspruchnahme von zusätzlichen Liquiditätshilfen des Bundes ausgleichen zu können, gibt es die Nachhaltigkeitsrücklage.

Dafür ist derzeit eine Rücklage von höchstens 1,5 und mindestens 0,2 Monatsausgaben gesetzlich vorgeschrieben, andernfalls sinkt bzw. steigt der Beitragssatz und der Bund muss finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Der Rentenversicherungsbericht 2021 prognostiziert für die kommenden Jahre einen starken Rückgang der Nachhaltigkeitsrücklage: Sie „wird in den kommenden Folgejahren der Vorausberechnung abgebaut und liegt zum Ende des Mittelfristzeitraums im Jahr 2025 bei 9,1 Mrd. Euro (0,25 Monatsausgaben)“. Dies kann zur Folge haben, dass die Rentenversicherung – gerade bei unvorhersehbaren konjunkturellen Krisen, aber auch saisonal bedingt –Zahlungen nicht mehr aus eigenen Mitteln begleichen kann und der Bund einspringen muss.

Der SoVD begrüßt daher grundsätzlich den Ansatz des Gesetzentwurfs, die Mindestrücklage anzuheben, um die finanzielle Basis der gesetzlichen Rentenversicherung zu stärken.Aus Sicht des SoVD wären sogar 0,5 Monatsausgaben denkbar. Eine derartige Anhebung der Mindestrücklage kann das Vertrauen der Bevölkerung in die gesetzliche Rentenversicherung in besonderer Weise stärken, weil auch in Zukunft mit weiteren krisenbedingten Belastungen des Arbeitsmarktes gerechnet werden muss.

Zur Aufstockung der Mindestrücklage von 0,2 auf 0,4 Monatsausgaben sind voraussichtlich Finanzmittel in einer Größenordnung von ca. 5 Mrd. Euro erforderlich, die –zumindest teilweise – erstmals in dem Jahr anfallen, in dem die „neue“ Mindestrücklagengrenze von 0,4 Monatsausgaben unterschritten wird. Die zum Aufbau der Mindestrücklage erforderlichen „einmaligen“ Mittel sollten nicht den Beitragszahler*innen der Rentenversicherung auferlegt werden, sondern durch Zahlungen des Bundes von den Steuerzahler*innen getragen werden; sei es durch eine Erhöhung des Bundeszuschusses oder durch eine einmalige Sonderzahlung des Bundes an die gesetzliche Rentenversicherung.

Wir brauchen daher eine grundsätzliche Debatte über die Finanzierbarkeit der gesetzlichen Rentenversicherung. Dazu gehört beispielsweise auch, über die Sinnhaftigkeit des im Koalitionsvertrag vereinbarten Kapitalstocks in Höhe von 10 Mrd. Euro zu reden. Diese Überlegung steht in enger Verbindung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf. Wie steht die Nachhaltigkeitsrücklage im Verhältnis zum Kapitalstock? Sollen Reserven tatsächlich am Aktienmarkt angelegt werden und wenn ja, zu welchen Bedingungen? Was bedeutet das dann konkret, wenn auf die Rücklagen zurückgegriffen werden muss, die Aktien aber im Keller sind – wie im Moment?

Greift dann nicht genau das gegenteilige Szenario von dem, was unter dem Deckmantel der Generationengerechtigkeit mit den Forderungen nach mehr Kapitaldeckung eigentlich gewollt wird: Der Beitragssatz steigt, der Bundeszuschuss steigt, die gesetzliche Rentenversicherung gerät ins Wanken und die Beitragszahlenden werden stärker belastet. Die gesetzliche Rentenversicherung benötigt stattdessen eine solide Finanzierungsbasis.Aus Sicht des SoVD wird diese mit einem Kapitalstock nicht erreicht, ganz im Gegenteil.Auch würden die Erträge aus dem Kapitalstock, die dann zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung herangezogen werden sollen, viel zu spät zur Verfügung stehen. Die Mittel werden ab 2025 benötigt, wenn die Babyboomer-Generation anfängt in Rente zu gehen. Die Mittel aus einem Kapitalstock – bei dem es auch mit einmal 10 Mrd. Euro nicht getan ist – würden frühestens in zehn bis 15 Jahren zur Verfügung stehen.

Der SoVD würde es daher begrüßen, wenn die 10 Mrd. Euro anderweitig zur Stärkung der gesetzlichen Rentenversicherung investiert werden. Denkbar wären einmalige Zahlungen des Bundes zum Aufbau einer Mindestrücklage von 0,4 Monatsausgaben oder generelle Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung. Beispielsweise könnte damit eine vollständige Angleichung aller Erwerbsminderungsrenten erreicht werden. Es wäre auch möglich, mit dem Geld zusätzlich die Grundrente zu stärken, indem die Einkommensprüfung gestrichen und die Freibeträge für alle Menschen mit einer gesetzlichen Rente (unabhängig von den Grundrentenzeiten) gewährt werden. Damit würde ein echter Beitrag zur Bekämpfung von Altersarmut geleistet werden, der wiederum auch das Vertrauen in die gesetzliche Rentenversicherung stärken würde, weil es dann eben doch für mehr Menschen einen Unterschied macht, ob sie Beiträge gezahlt haben oder nicht.

Auch kann die gesetzliche Rente durch die Einführung einer Erwerbstätigenversicherung, in die alle Erwerbstätigen einbezogen werden, auf breitere Füße gestellt werden. Es ist richtig, dass unter Finanzierungsgesichtspunkten eine Erwerbstätigenversicherung langfristig gesehen auch die Ausgabenseite belasten wird. Sie würde aber zumindest die Zeit, in der die sogenannten Babyboomer in Rente gehen, abfedern. Darüber hinaus würde sie dem Wandel in der Arbeitswelt und in den Erwerbsverläufen sowie der gebotenen Solidarität aller Erwerbstätigen und der gestiegenen beruflichen Mobilität in Europa hinreichend Rechnung tragen. Für das Alter muss ohnehin Geld in die Hand genommen werden, denn die Menschen werden weiterhin welches zum Leben benötigen. Die entscheidende Frage bleibt: Soll das Geld in ein System gesteckt werden, das krisenanfällig ist und die Risiken in den privaten Bereich verschiebt oder besser in ein System, das sich über Jahrzehnte bewährt hat und dem Solidaritätsgedanken entspricht? Der SoVD spricht sich ganz klar für die umlagefinanzierte gesetzliche Rente aus.

Abschließend lässt sich daher festhalten, dass es richtig ist, die finanzielle Basis der gesetzlichen Rentenversicherung zu stärken. Denn sie ist stabil, sie ist zuverlässig und sie ist solidarisch. Das wird sie auch bleiben, wenn die Hebel an der richtigen Stelle angesetzt werden: Die Anhebung der Mindestnachhaltigkeitsrücklage kann hierzu einen nicht unerheblichen Beitrag leisten.

Berlin, 16. Juni 2022

DER BUNDESVORSTAND
Abteilung Sozialpolitik

Stellungnahme als PDF: